Gewinne laufen lassen und Verluste begrenzen?

Schon der britische Ökonom David Ricardo schlug einst vor, man solle Gewinne an der Börse laufen lassen und Verluste begrenzen. [1] Bis heute wird diese alte Weisheit immer wieder vorgetragen, wenn es darum geht, Aktien mit großen Kursgewinnen im Portfolio zu behalten und gleichzeitig hohe Verluste bei Crash-Titeln zu vermeiden. Das Ganze basiert auf der Annahme, dass sich die bisherige Kursentwicklung fortsetzt: Verlierer bleiben Verlierer und Gewinner bleiben Gewinner.

 

Börsenweisheit unter der Lupe

Dirk Baur (University of Western Australia) und Thomas Dimpfl (Universität Hohenheim) untersuchen das Ganze in ihrem Paper „Cut Your Losses and Let Your Profits Run“. [2] Die entscheidende Frage: Ist es besser, nach Verlusten (Cut Your Losses) oder nach Gewinnen (Cut Your Profits) zu verkaufen?

Dabei ist zu berücksichtigen, dass beides keine vollständigen Strategien sind, da sie sich nur auf den Umgang mit den Verlusten bzw. Gewinnen fokussieren. Deshalb wird für die verbleibenden Positionen ein Buy-and-Hold-Ansatz angenommen. Das bedeutet, dass bei Cut Your Losses die Gewinne laufen gelassen werden (Let Your Profits Run) und bei Cut Your Profits die Verluste (Let Your Losses Run). Das ermöglicht einen fairen Vergleich.

In den Untersuchungen werden aus einem Universum von US-Aktien jeweils zufällig 25 oder 50 Aktien selektiert und zu Beginn gleich gewichtet. Auch der Kaufzeitpunkt und die Haltedauer sind zufällig, wobei letztere mindestens 6 Monate betragen muss. Die Autoren verwenden für Cut Your Losses verschiedene Schwellenwerte von null bis -100 Prozent und für Cut Your Profits von null bis +300 Prozent. Bei deren Erreichen werden die betreffenden Aktien verkauft und die Erlöse unverzinst als Cash gehalten.

 

Verluste Gewinne begrenzen Ergebnisse
Die Diagramme zeigen die relative Underperformance von Cut Your Losses (links) und Cut Your Profits (rechts) gegenüber Buy and Hold für verschiedene Schwellenwerte basierend auf einem Portfolio mit jeweils 25 zufällig ausgewählten Aktien. Für kleine Schwellenwerte von -10 Prozent bei Cut Your Losses und +10 Prozent bei Cut Your Profits sind die Unterrenditen ähnlich (etwa -30 Prozent). Bei höheren Schwellenwerten (zum Beispiel 50 Prozent) schneidet Cut Your Profits deutlich schlechter ab. Quelle: Baur, D. G. / Dimpfl, T. (2022), Cut Your Losses and Let Your Profits Run

 

Keine gute Strategie

Das zentrale Ergebnis ist überraschend: Obwohl es sich um eine bekannte Börsenweisheit handelt, finden sich keine Belege dafür, dass Cut Your Losses eine gute Strategie ist. Die Ergebnisse sind deutlich schlechter als bei Buy and Hold. Zwar ist die Verlustbegrenzung wenigstens ins Krisenzeiten gut, doch selbst dann ist die Outperformance nicht durchweg gegeben. Eine Erklärung dafür ist, dass bei Cut Your Losses mögliche Kurserholungen verpasst werden. Denn mit dem Verkauf werden die Verluste realisiert und die Positionen aus dem Portfolio entfernt. Eine spätere Beteiligung an potenziellen (großen) Gewinnen entfällt also.

Die umgekehrte Variante, Cut Your Profits, schneidet sogar noch schlechter ab. Ein grundsätzliches Problem beider Strategien ist, dass die Kurse in der Praxis nicht monoton fallend oder steigend verlaufen. Das wäre wichtig, damit Gewinner und Verlierer in ihren Rollen bleiben. Tatsächlich neigen aber vor allem Verlierer dazu, eine Trendwende hinzulegen, was zu Lasten von Cut Your Losses geht. Gewinner weisen im Vergleich dazu stärkeres Momentum auf. Das erklärt die noch größere Underperformance von Cut Your Profits.

Daraus folgt, dass jeweils das Gegenteil profitabel ist, also sowohl Verlierer als auch Gewinner laufen zu lassen. Mit anderen Worten: Buy and Hold.

 

Fazit

Am Ende ist Buy and Hold eindeutig der beste Ansatz.

 

Hinweis: Eine frühere Version dieses Artikels erschien in Institutional Money.

 

Quellen:

[1] Grant, J. (1838), The Great Metropolis, Vol. 2, E.L. Carey & A. Hart

[2] Baur, D. G. / Dimpfl, T. (2022), Cut Your Losses and Let Your Profits Run, The Journal of Portfolio Management (forthcoming)

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