Es ist kein Geheimnis, dass klassische, nach Marktkapitalisierung gewichtete Indizes zu Konzentrationseffekten neigen. Ganz im Gegenteil. Es ist sozusagen ein Feature und kein Bug, dass eine Handvoll großer Konzerne an der Spitze der Pyramide stehen. Doch in der letzten Dekade und vor allem seit Corona nahm die Konzentration insbesondere am US-Markt erheblich zu. Allein Apple machte im Juli 2023 in der Spitze mehr als 8 Prozent des S&P 500 aus. Die zehn größten Aktien kamen zusammen auf rekordverdächtige 31,8 Prozent, also fast ein Drittel des Index. Und das, obwohl diese zehn Unternehmen nur 21,1 Prozent zu den Erträgen im Index beitrugen.
Im Nasdaq-100 wurde die Konzentration so groß, dass ein außerordentliches Rebalancing erfolgte. Dieses wurde am 24. Juli wirksam. Zuvor machten allein Apple und Microsoft ein Viertel des Index aus, und die Top 7 mit den weiteren Aktien Alphabet, Amazon, Nvidia, Meta und Tesla bereits mehr als die Hälfte.
Langfrist-Studie
Völlig absurd sind diese Konzentrationseffekte aber nicht. Denn langfristig neigen die Märkte zu einer sehr schiefen Renditeverteilung. Das bedeutet, dass sich der größte Teil der aggregierten Wertschöpfung auf Aktien weniger Unternehmen konzentriert. Aktien, die man möglichst direkt oder zumindest indirekt über Fonds im Depot haben sollte.
Zum Thema der schiefen Renditeverteilung hat Hendrik Bessembinder von der Arizona State University intensiv geforscht. Vor wenigen Monaten veröffentlichte er ein Update seiner früheren Analysen für den US-Markt („Shareholder Wealth Enhancement, 1926 to 2022“). Dabei betrachtet er den Zuwachs des Vermögens der Aktionäre gegenüber einer alternativen Anlage in 1-Monats-Bills über den gesamten Zeitraum, in dem die jeweiligen Unternehmen zwischen 1926 und 2022 an der Börse notiert waren, und zwar inklusive aller Dividenden, Aktienemissionen und Aktienrückkäufe.
Die Zahlen sind beeindruckend: Auf Basis der CRSP-Daten haben bis Dezember 2022 insgesamt 28.114 Firmen in den USA Aktien ausgegeben und damit einen aggregierten Vermögenszuwachs von 55,1 Bio. US-Dollar im Vergleich zu 1-Monats-Bills generiert. Allerdings trugen dazu nur rund 41,4 Prozent der Aktien über ihre Lebensdauer hinweg bei. Dabei nahm das Ausmaß, in dem sich der Vermögenszuwachs auf wenige Firmen konzentriert, zuletzt noch weiter zu. Schon im Jahr 2016 erzielten nur 90 Unternehmen bereits die Hälfte des Nettovermögenszuwachses seit 1926. Im Jahr 2019 schafften das bereits die Top 83 Firmen. Und im Jahr 2022 die Top 72.
Um das nochmal zu betonen: Lediglich 72 (!) extrem erfolgreiche Unternehmen, die nur 0,26 Prozent aller jemals seit 1926 börsennotierten Unternehmen in den USA ausmachen, erzielten die Hälfte des Vermögenszuwachses relativ zu 1-Monats-Bills.
„Die Konzentration hat in den letzten Jahren weiter zugenommen.“ (Hendrik Bessembinder, W. P. Carey School of Business, Arizona State University)
Hendrik Bessembinder schreibt, dass dieser Zuwachs an Konzentration im Einklang mit der Vorhersage von Thomas Noe und Geoffrey Parker aus dem Jahr 2005 steht, dass die internetbasierte Wirtschaft zu mehr Winner-Take-All-Effekten führt („Winner Take All: Competition, Strategy, and the Structure of Returns in the Internet Economy“).
Fazit
Allein die besten 72 Aktien erzielten die Hälfte der gesamten Überrendite am US-Markt seit 1926.
In Europa ist die Konzentration übrigens viel niedriger. Im MSCI Europe mit seinen mehr als 400 Aktien machten die Top 10 zuletzt „nur“ rund 22 Prozent aus. Zudem stammen die Top 10 anders als in den USA mit Werten wie Nestlé, ASML, Novo Nordisk und LVMH aus unterschiedlichen Branchen.
Danke, spannende Entwicklung. Beim Nasdaq sieht es noch „schlimmer“ aus: 20 Aktien machen 2/3 des Gesamtgewichts aus und das trotz der jüngsten (wenn auch kosmetischen) Anpassung: https://www.slickcharts.com/nasdaq100/analysis
Ja, ich hatte das mal für einen Artikel rausgesucht per Ende Juni, also vor dem Rebalancing. Da hatten allein die Top 7 im Nasdaq-100 etwas über die Hälfte des Indexgewichts… https://www.visualcapitalist.com/cp/nasdaq-100-companies-by-weight/