Eigentlich scheint es offensichtlich, wie an der Börse investiert werden sollte: Kaufen, wenn die Kurse unten sind, abwarten, und dann auf hohem Niveau wieder verkaufen – oder einfach dauerhaft investiert bleiben. Die Realität ist aber, dass so mancher Anleger eher das Gegenteil macht: teuer kaufen und billig verkaufen. Das haben verschiedene Studien gezeigt. Konkret sind die tatsächlich erzielten Renditen des durchschnittlichen Anlegers fast 2% pro Jahr (!) schlechter als bei einer klassischen Buy-and-Hold-Strategie. [1]
Mit anderen Worten: Der DAX mag in den letzten 20 Jahren um 400% gestiegen sein. Das heißt aber noch lange nicht, dass der durchschnittliche Anleger diesen Zuwachs tatsächlich erzielt hat. Wahrscheinlich war es bedeutend weniger. Der Effekt betrifft übrigens nicht nur ETF-Anleger. Bei aktiven Fonds ist es genauso. Nicht aber bei Anleihe- und Geldmarktfonds, in denen vor allem professionelle Investoren unterwegs sind. [2]
Ein Teufelskreis
Aber warum kaufen so viele Anleger auf hohem Niveau? Die Antwort ist vor allem psychologischer Natur: Wer bei steigenden Kursen nicht dabei ist und in den Nachrichten und von Freunden hört, dass (scheinbar) alle profitieren, bekommt das Gefühl, etwas zu verpassen. Die englische Bezeichnung dafür ist FOMO (Fear of Missing Out). Diese Angst ist stärker als das Risikoempfinden und trübt unser Urteilsvermögen. Man denkt, es würde nur noch bergauf gehen. Mit jeder weiteren Aufwärtsbewegung nimmt die Ungeduld zu, und irgendwann steigt man dann einfach ein.
Aber das ist nur die halbe Geschichte. Wer erst einmal investiert ist, wird seine Entscheidung wegen kleiner Verluste nicht so schnell revidieren, nachdem er weit oben gekauft hat. Mit der (eigentlich guten) Begründung, dass es sich um ein Langfristinvestment handelt, halten viele Anleger eine ganze Weile durch, wenn die Kurse zu fallen beginnen. Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem der Schmerz für viele zu groß wird. Oft passiert das, nachdem es tage- oder wochenlang abwärts ging und es immer nur schlechte Nachrichten gab, die die Situation hoffnungslos erscheinen lassen. Plötzlich denkt man, die Welt wird untergehen und es gibt nie mehr steigende Kurse. An diesem Punkt steigen viele Anleger panisch aus, um „zu retten, was noch zu retten ist“.
Das Verrückte dabei: Das Timing ist erstaunlich gut. Nur eben genau verkehrt herum.
Dieses Muster ist charakteristisch für das Verhalten vieler Privatanleger, die sich in einem Teufelskreis befinden: Sie verkaufen aus Angst vor horrenden Verlusten, nachdem (!) die Kurse bereits gefallen sind und verpassen anschließend wichtige Teile der Erholungsbewegungen. Irgendwann steigen sie auf vergleichsweise hohem Niveau wieder ein – aus Angst, weitere Kursgewinne zu verpassen. Der Zyklus wiederholt sich.
Dalbar-Studie
Eine Veröffentlichung, die den beschriebenen Zusammenhang bestätigt, ist die seit 1994 jährlich aktualisierte Dalbar-Studie. Darin sind Auswertungen zu Kauf- und Verkaufsentscheidungen von Anlegern in Investmentfonds auf verschiedenen Zeitebenen zu finden. Die Quintessenz daraus ist, dass der durchschnittliche Anleger schlechter, oft sogar deutlich schlechter abschneidet, als es die Performance der großen Aktienindizes nahelegt.
Konkret für das Jahr 2018 erzielten US-Anleger demnach einen Verlust von 9,42 Prozent, während der S&P 500 nur 4,38 Prozent einbüßte. Der Grund dafür zeigte sich bei der Analyse der Mittelflüsse: Anleger sahen zunehmende Gefahren am Markt und zogen Gelder ab – allerdings zu wenig, um in den turbulenten Phasen ihre Verluste ausreichend zu dämpfen. Anschließend büßten sie Performance ein, als sie in der Erholungsphase zu lange unterdurchschnittlich investiert blieben.
Auf diese Weise addiert sich die realisierte Underperformance gegenüber dem reinen Aktienindex im Zeitablauf immer weiter. Wie extrem dieser Effekt ausfällt, zeigte die Dalbar-Studie im Jahr 2016: Während die durchschnittliche jährliche Rendite des S&P 500 über 30 Jahre bei 10,35 Prozent lag, erzielte der durchschnittliche Fondsanleger im gleichen Zeitraum nur 3,66 Prozent pro Jahr. Zwar sind dafür auch die Gebühren der Fonds mitverantwortlich, aber wirklich entscheidend für das schlechte Ergebnis ist ganz klar das ungünstige Timing im Zeitablauf.
Das Ganze könnte sogar noch weitere Auswirkungen haben. So argumentieren einige Forscher, dass durch das ungünstige Timing bestimmte Anomalien wie der Value-Effekt überhaupt erst weiter bestehen könnten. [1] Würden plötzlich alle Anleger „richtig herum“ handeln, könnte es sein, dass die Märkte noch effizienter wären.
Fazit
Investieren ist schwer (und aktives Trading erst recht). Leicht sieht es nur aus, wenn man die Sache von außen oder im Nachhinein betrachtet. Aber jeder, der schonmal mit echtem Geld diese Phasen durchlebt hat, weiß ganz genau, wie es sich anfühlt und wie stark das unser Denken und Handeln beeinflusst. Deshalb brauchen Anleger unbedingt eine sinnvolle Strategie, an die sie sich dann auch konsequent halten.
Passive Investments mit ETFs sind eine klasse Sache für langfristige Aktienanlagen. Aber auch das ist letztlich eine Strategie, die man durchhalten muss, in guten wie in schlechten Zeiten. Und diese Zeiten können manchmal länger andauern, als man jemals geglaubt hätte. Selbst Warren Buffett musste mit Berkshire Hathaway Drawdowns von rund 50% hinnehmen und ist langfristig dennoch (oder gerade deswegen) einer der besten Investoren aller Zeiten.
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Quellen:
[1] Hsu, J. / Myers, B. W. / Whitby, R. (2014), Timing Poorly, A Guide to Generating Poor Returns While Investing in Successful Strategies, Journal of Portfolio Management (forthcoming Winter 2016).
[2] Friesen, G. C. / Sapp, T. R. A. (2007), Mutual fund flows and investor returns, An empirical examination of fund investor timing ability, Journal of Banking and Finance, Vol. 31, S. 2796-2816.
[3] Dichev, I. D. (2004), What are stock investors’ actual historical returns, Evidence from dollar-weighted returns, Working Paper, University of Michigan.
Hi Marko,
m.E. kann man Märkte nicht „timen“. Ich bin jedes Mal wieder überrascht, wie meine „Intuition“ und die reale Kursbewegung auseinandergehen. Die starke Abwärtsbewegung in den letzten Woche, wer hat sie kommen sehen? (Außer diejenigen, die im Nachhinein immer eine Erklärung finden). Man benötigt eine Strategie, der man folgt. Diese ersetzt dann das „Timen“ und man wird unabhängig in der Entscheidungsfindung von Intuition und dem Versuch den Markt vorhersehen zu wollen. Dazu bekommt man eine gewisse Unabhängigkeit von den Marktbewegungen.
Grüße,
Julian
Naja, das paradoxe ist ja, dass die meisten Anleger durchaus ein bisschen timen können – nur eben genau falsch herum. Aber du hast schon recht: Die Erkenntnis, intuitiv ziemlich daneben zu liegen, hatte ich auch schon oft. Eine Strategie schafft dafür nicht nur Regeln und Orientierung, sondern auch Vertrauen in das, was wir tun (oder zumindest sollte sie das). Und wirkliches Vorhersehen der Zukunft kann nicht gehen, das stimmt auf jeden Fall. Aber bei Langfristanlagen nach (!) einem Crash noch aus Angst zu verkaufen, das kann man durchaus vermeiden.
Wenn man timen will, am bestem genau das Gegenteil von dem machen was die eigenen Emotionen gerade hergeben. Wie du sagst, intuitiv liegen wir von Natur aus daneben. Wenn die Märkte fallen nachzukaufen ist nicht so schwierig, vor allem wenn man langfristig ETFs kauft, die man für immer halten will.
In steigenden Märkten zu verkaufen ist etwas ganz anderes. Ich hatte schon ein paar gute Stockpicks, die sich nach +200%, wieder nach unten verabschiedet haben. Ich konnte nicht verkaufen. Ich tauge also nicht als Trader. Deshalb kaufe ich, wenn überhaupt, nur noch Aktien, die ich auch für immer halten will, weil ich an ihre Zukunft glaube (Survivorship Bias + Overconfidence Bias…)
Das mit dem Gegenteil der eigenen Emotionen ist prinzipiell eine gute Idee! Klappt allerdings nur, wenn man ausreichend Erfahrung hat, um sich in diesen Momenten auch dessen bewusst zu sein. Dem klassischen Einsteiger wird das sehr schwer fallen. Beim „Timing“ nach oben hin könnte ein Rebalancing helfen bei festen Gewinnschwellen, was letztlich einer kleinen Gewinnmitnahme gleicht.